Gewerkschaft droht Dacia mit Streik

Die rumänischen Arbeiter wollen auch etwas von den Dacia-Gewinnen


Laut einer Meldung von RFI Romania sind die Verhandlungen am Montag zwischen Gewerkschaftsführervize Ion Iordache und Unternehmensvertretern von Dacia gescheitert. Für die rund 14.000 Arbeiter in Mioveni werden 20% mehr Lohn gefordert, so RFI.

Die seitens der rumänischen Renault-Tochter Dacia in den Verhandlungen angebotene Lohnerhöhung sei laut Iordache unbefriedigend gewesen. Den Formalitäten entsprechend werde noch die Antwort des Generaldirektors abgewartet, sowie mit regionalen Vertretern gesprochen, aber der Arbeitskampf wurde von den Gewerkschaftern offiziell eröffnet.

Ion Iordache habe die Lohnerhöhungen mit dem hohen Gewinn Dacias im Jahre 2009 gerechtfertigt. Tatsächlich scheint das letzte Jahr für das Unternehmen ertragreich gewesen zu sein: zum Beispiel berichtete N24 von den Preissenkungen bei Dacia, die vom Unternehmen mit den guten Verkaufszahlen gerechtfertigt worden sein sollen.

Den letzten großen Streik erlebte Dacia vor zwei Jahren. Zwei ausführliche deutschsprachige Artikel dazu: Der Fall Dacia (Stéphane Luçon, Le Monde Diplomatique, Übersetzung aus dem Französischen), Auf der Aufholspur (Komisch, wurde umbenannt, hieß vorher „Auf der Überholspur“) (Philipp Lichterbeck, Tagesspiegel).

update:(10.2.2010)
Offenbar sind die Gespräche zwischen Gewerkschaft und Generaldirektor am gestrigen Dienstag auch gescheitert. Das berichtet masini.ro unter Berufung auf eine Agenturmeldung. Ion Iordache, stellvertretender Vorsitzender der Dacia-Gewerkschaft SAD (Sindicat Automobile Dacia), soll von „großen Schritten in Richtung Streik“ gesprochen haben. Weiter wird er zitiert:

„Die Führung stellt ihre Arroganz unter Beweis, wenn sie die Dacia-Angestellten mit der Arbeitslosen-Situation in Rumänien zu erschrecken versucht. Wir haben solide Argumente für unsere Forderungen, denn 2009 war ein exzeptionelles Jahr für Dacia und 2010 kündigt sich als ebensolches an.“ (Zitiert/ übersetzt von hier.)

Die Gewerkschaft fordert 520 Lei (ca. 125 Euro) mehr für jeden Dacia-Arbeiter im Monat, was etwa 20% des derzeitigen Lohns entspricht. Das Unternehmen wollte nur einer Lohnerhöhung von maximal 170 Lei (ca. 40 Euro) zustimmen. Abzuwarten bleibt nach den mündlichen Absagen nun die formale Antwort des Unternehmens auf die schriftlich eingereichten Forderungen. Diese wird für Mittwoch erwartet.

update: (11.2.2010)
Die Verhandlungen dauern an. Die angebotene Lohnerhöhung wurde seitens Dacia von 170 auf 200 Lei aufgestockt, Iordache gibt sich bisher damit nicht zufrieden. Derweil widmen sich andere Medien der rumänischen Erfolgsstory: Dacia war im Jahre 2009 offenbar die einzige Automarke der Renault-Gruppe, die Profit abwarf. Daran dürfte die deutsche Abwrackprämie nicht ganz unschuldig gewesen sein – denn Deutschland war Dacias größter Absatzmarkt. Hier soll Dacia über 85.000 der rund 300.000 hergestellten Autos verkauft haben (in Rumänien dagegen nur gut die Hälfte mit 45.000 verkauften Wagen).

update: (2.3.2010)
Mit großer Verspätung sei darauf hingewiesen, dass seit 17.2.2010 eine Einigung im Arbeitskampf zwischen dem Dacia-Konzern und den Arbeitern feststeht. Mit der Androhung von Streik wurde eine Lohnerhöhung von 300 Lei (gut 70€) erwirkt, die im kommenden in diesem Jahr jedem rumänischen Dacia-Arbeiter winken soll.

Heute wird gemeldet, dass für die Dacia-Angestellten sogar zwei Samstagsschichten neu eingeführt werden, um der großen Nachfrage nach neuen Dacia-Modellen gerecht zu werden.

Rumänisches Judentum und die Gegenwart

Ein paar Zeilen zum neuen Mahnmal und zu Andrei Oişteanu


Bei einestages.spiegel.de erschien neulich ein Interview mit dem Berliner Antisemitismusforscher Wolfgang Benz anlässlich der Einweihung des Holocaust-Mahnmals in Bukarest. Dabei fiel mir ein neulich gelesenes Interview mit dem rumänischen Hebraisten und Religionshistoriker Andrei Oişteanu ein (wegen Benz‘ einleitender Feststellung, Rumänien habe in den letzten Jahren große Fortschritte bei der eigenen Vergangenheitsbewältigung gemacht und wegen seiner abschließenden Bemerkung, dass Rumänien nach Deutschland im intensivsten Maße am Juden- (und Roma-) mord beteiligt gewesen war).

Die „Dilemateca“, das Magazin der Dilema Veche, führte im Oktober ein Gespräch mit Oişteanu. Neben den Inspirationen für seine Rockband in den 60er und 70er Jahren wie auch einigen Gedanken zu Mircea Eliade und der Hippie-Bewegung, fand ich insbesondere Oişteanus Gedanken zur gegenwärtigen Situation des rumänischen Judentums interessant. Angesprochen auf sein Buch über die „imaginären Juden“ äußert er sich zufrieden über die jüngsten Entwicklungen in der rumänischen Politik, Gesellschaft und in den Massenmedien. Hier sieht er Rumänien als positives Beispiel im Vergleich zu Ungarn, wo gegenwärtig eine extrem-rechte Bewegung an Einfluss gewinnt. Rechte rumänische Parteien aus den 90er Jahren, wie die PUNR (Partidul Unităţii Naţionale a Românilor) seien inzwischen vergessen, die Vatra Românească kenne heute kein Student mehr. Sogar Parteien wie die PRM und die PNG sieht Oişteanu heute als politische Randerscheinungen. Lediglich eine Organisation wie die ASCOR (Asociaţia Studenţilor Creştini Ortodocşi din România) mit ihren sehr rechtsgerichteten, xenophoben und homophoben Ansichten zählt er zu den unangenehmen Erscheinungen der Gegenwart. Im Gegensatz zu anderen Ländern habe sich aber laut Oişteanu zumindest die offen nationalistische und antisemitische Stimmung der 90er Jahre inzwischen gelegt. Die Frage nach dem latenten Rassismus in Rumänien bleibt dabei natürlich unbeantwortet.

Andrei Oişteanu hat sich als erster rumänischer Wissenschaftler systematisch mit der Rolle des rumänischen und europäischen Antisemitismus in der rumänischen Kultur befasst, den er als historischen Bestandteil der nationalen rumänischen Identität rekonstruierte. Für seine Arbeit trug Oişteanu eine große Menge an Quellenmaterial zusammen, mit dem er zeigt, wie der „imaginäre Jude“ als kulturelle Negativ-Blaupause für alles „Unrumänische“ herhielt. „Imaginea Evreului“ ist inzwischen in den USA auf Englisch erschienen, eine deutsche Übersetzung ist in Arbeit.

Oişteanus Hoffnung ist es, die Geschichte und gegenwärtige Situation der jüdischen Gemeinde Rumäniens in der Welt bekannter zu machen. Die rumänischen Juden blieben bisher weitgehend unbeachtet – obwohl dort mit 800.000 Mitgliedern im Jahre 1939 zeitweise eine der weltweit größten jüdischen Gemeinschaften lebte. Heute leben laut Volkszählung rund 8000 Juden in Rumänien.

Aber seine Arbeit zur Geschichte der rumänischen Juden möchte Oişteanu weder als einfachen historiografischen Abriss noch als ethnozentrischen Blick verstanden wissen, sondern als Versuch einer möglichst objektiven Betrachtung des Stereotypen-Inventars zum „evreul imaginar“. Der imaginäre Andere und jene kulturell tradierten Ausgrenzungsmechanismen, die Oişteanu rekonstruiert, sind aber nicht nur in Rumänien anzutreffen. Mit den regionalen Facetten des rumänischen Antisemitismus demonstriert Oişteanu ein Phänomen, das, in verschiedenen Formen weltweit verbreitet, im Kern immer gleich ist. Darum hat sein Buch weit über Rumänien hinaus Bedeutung.

Beim Umgang mit dem jüdisch-kulturellen Erbe sieht Oişteanu noch großen Sensibilisierungsbedarf in der rumänischen Gesellschaft und beim rumänischen Staat. Es sei noch nicht jedem klar, dass Juden keine Außerirdischen, sondern ein Teil der rumänischen Nation sind. Deswegen wiesen noch immer Teile der rumänischen Gesellschaft die Verantwortung im Umgang mit der jüdischen Geschichte und mit ihrem reichen kulturellen Beitrag von sich.

Vielleicht markiert das Mahnmal den Anfang einer neuen Auseinandersetzung der rumänischen Gesellschaft mit sich selbst und der eigenen Geschichte. Aber dass die rumänische Mehrheit das Judentum als Teil der eigenen Kultur begreift, wird sich wohl nicht mit einem Mahnmal ergeben.


Das vollständige Interview mit Andrei Oişteanu auf Rumänisch gibt es in der Dilemateca Ausgabe Nr. 41/ Oktober 2009, S.58-66.

Außerdem zum Thema sei folgendes Buch von Dietmar Müller ausdrücklich empfohlen: „Staatsbürger auf Widerruf. Juden und Muslime als Alteritätspartner im rumänischen und serbischen Nationscode. Ethnonationale Staatsbürgerschaftskonzepte 1878-1941“.

Filmfestival Cottbus – mein Freitag und Samstag

schlussendlich


Am Freitag habe ich nur einen Film geschafft:

Kara Köpekler Havlarken (Schwarze bellende Hunde), Mehmet Bahadir Er/ Maryna Gorbach, Türkei/ Ukraine 2009

Der Film versucht jung zu wirken, zumindest merkt man ihm die teilweise aufgesetzt wirkenden Momente mit schnellen Schnitten und flotten Sprüchen an. Leider erscheinen die Gangster manchmal etwas ungewollt lächerlich und Spannung will nicht so recht entstehen.

Die zwei ambitionierten Protagonisten geraten zwischen die Fronten zweier verfeindeter Gebietshoheiten in einem Istanbuler Stadtteil, als sie in das von der Mafia verwaltete Security-Business einsteigen wollen. Die Entführung der Geliebten eines der Beiden am Ende des Films ist vorhersehbar, da die Liebesgeschichte nur stiefmütterlich behandelt wird und so als Mittel zur Story-Aufpolierung zu erkennen ist. Einige interessante Bilder gibt es aber im Film, insbesondere im Ensemble mit den Überwachungskamera-Aufnahmen aus der großen Mall. Ansonsten verrät der Titel bereits viel über die Gefahren, die den Helden so auflauern …

Am Samstag habe ich abschließend ein etwas größeres Programm genossen:

Byalo Zeleno Cherveno (Weiß Grün Rot) Kurzfilm, Milena Andonova, Bulgarien 2008

Der Kurzfilm präsentiert zu jeder der drei Nationalfarben eine kurze Szene, die symbolisch für die bulgarische Gegenwart steht. In drei kurzen Stichworten ließen die sich mit Alkoholismus, Naturausbeutung und Dekadenz zusammenfassen. Damit zeigt der Film einen für die Region selten kritischen Umgang mit dem eigenen Nationalsymbol Fahne.


A dnes nakade (Wohin heute), Rangel Valchanov, Bulgarien 2007

Bei diesem Film bin ich zwiegespalten. Die Idee, eine Schauspielergruppe einzusperren und ihr Spiel zu filmen liefert die Grundspannung. Man befragte die jungen Leute zu aktuellen, persönlichen und allgemeinen Themen. Das geschah vor 20 Jahren. Jetzt wurden die gleichen Schauspieler zu einem Treffen geladen, auf dem sie erneut eingesperrt wurden. Sie reflektieren über sich und Bulgarien, über die wesentlichen Veränderungen in ihren Leben in den letzten 20 Jahren.

Der Film wäre eine runde Sache, wenn sich nicht die ganze Zeit jene unangenehme Figur in den Vordergrund spielen würde, die der (echte oder gespielte) Erfinder und Regisseur des Ganzen ist. Außerdem schafft es der Film nicht, den Eindruck zu beseitigen, dass die als improvisiert dargestellten Szenen durchweg gespielt sind. So sieht man der schlecht erzeugten Glaubwürdigkeit nach zu urteilen kein spannendes Projekt, sondern nur einen Film über eine tolle Idee.


40-ci qapi (Die 40. Tür) Elchin Musaoglu, Aserbaidschan 2009

Hinter der 40. Tür verbirgt sich im Märchen, wie es in dem Film heißt, die geheimnisvolle, unbekannte Welt, die allen verborgen bleibt. Dieses Bild steht für Rustams abgelegenes Dorf und jene Welt, die er nach dem Tod seines Vaters verlässt, um für sich und seine Mutter zu sorgen. Der Vierzehnjährige erlebt die Großstadt als eine raue Welt aber findet sich sehr schnell und selbstbewusst zurecht. Die Bilder und die Kamera sind wunderbar in dem Film, außerdem überzeugt der Darsteller des jungen Protagonisten. Bis auf die letzte Filmsequenz wird auf gängigen Kitsch völlig verzichtet.


Sonbahar (Herbst), Özcan Alper, Türkei/ Deutschland 2009

Diesen Film fand ich belastend. Der aus dem Gefängnis entlassene Protagonist sieht die ganze Zeit traurig aus und findet sich in sein altes Leben nicht mehr ein. Der Mann ist depressiv, aber man erfährt nicht, was ihn eigentlich bewegt. Kurze Flashbacks deuten die politische Verfolgung an, der er und viele andere in seinem Alter ausgesetzt waren oder sind. Der Film ist offenbar eine Hommage an die gebrochenen jungen Männer, deren Träume zerstört wurden.

Leider bleibt die Schwere und Trauer des Films ohne inhaltliche Füllung. Stattdessen werden in unendlich lang erscheinenden Einstellungen Bewegungen des Protagonisten oder Landschaften gezeigt, die die Teilnahmslosigkeit der Figur zum Ausdruck bringen. Selbst mit der Frau, mit der der Protagonist noch am ehesten interagiert, bleiben die Dialoge oberflächlich. Dabei verbergen sich hinter den Figuren interessante Geschichten. Aber man erfährt weder etwas über die Vergangenheit, noch über die Gedankenwelt der georgischen Prostituierten und des in der Türkei politisch verfolgten Sozialisten. Ihr Zusammentreffen bleibt das zweier ganz allgemein trauriger Figuren. In einem nur von Trauer und Sentimentalität gefüllten Film. Vielleicht muss man das Thema näher kennen, um den Film zu mögen.


Siehe auch:
Filmfestival Cottbus – Resumé Mittwoch
Filmfestival Cottbus – vier Filme am Donnerstag

Filmfestival Cottbus – vier Filme am Donnerstag

Armenien, Polen und die Babelsberger Filmhochschule


Anarak Vordu Veradardze (Rückkehr des verlorenen Sohnes), Narine Mkrtchyan/ Arsen Azatyan, Armenien 2008

Hier in Cottbus sah ich zum ersten Mal einen armenischen Film. Es war ein ruhiger, ernster Film. Der vor dem Krieg als Jugendlicher geflohene Mann kehrt nach Jahren zu seiner Familie zurück. Konfrontiert mit dem Unverständnis und den Vorwürfen fast aller Personen, die er trifft, kommen ihm triste Erinnerungsfetzen aus seiner Kindheit. Er hatte offenbar nichts zu verlieren, als er fortging. Nur die Frau, die ihn liebte und ihm weinend in den Armen liegt, hat inzwischen geheiratet und zwei Kinder. Darum freut auch sie sich nicht über seine Rückkehr. Niemand freut sich über seine Rückkehr, die Brüder nehmen sie ihm sogar übel. So verlässt er seine Familie wieder und steht zum Filmende erneut auf den Gleisen am Bahnhof, wo er am Anfang des Films stand. Der Bahnhofsvorsteher, (auch dieser hatte kein Verständnis für die Rückkehr) war aber inzwischen verschwunden. Der Protagonist macht sich allein wieder auf den Weg.

In dem ruhigen Film gibt es kaum Bewegungen. Die Kamera steht meist still, die Akteure bewegen sich nur wenig. Die Auftritte der Figuren haben etwas theatralisches. Zwischen den Landschaftsaufnahmen am Anfang und am Ende des Films ruhen die langen Einstellungen auf den Gesichtern der Protagonisten. Die Filmbilder werden dominiert von statischen, fotografischen Aufnahmen. So werden die ruhigen, aber intensiven Eindrücke der Hauptfigur dem Publikum vermittelt.

Dem Film fehlt jegliches Pathos, die Bilder besitzen eine emotionslose Neutralität. Es gibt keine schwere Musik, dafür Sonne und Naturgeräusche. Selbst als die verlassene Frau in Tränen ausbricht, behält der Rückkehrer sein klares Gesicht. In der gleichen Stimmung, mit der er kam, kehrt er wieder um.

Der Film wertet nicht die Handlungen seiner Akteure. Die Sicht des Protagonisten dominiert zwar das Gezeigte, aber es gibt genug Raum, um die ernüchterten Familienmitglieder nachzuvollziehen. Trauer oder gar Mitleid vermitteln sich nicht durch die Darstellung einer der beiden Seiten, die Dramatik ergibt sich vielmehr daraus, dass niemand mehr die Annäherung zum anderen braucht. In ihrem Wiedersehen fühlen sich beide Seiten in ihren inzwischen gefestigten Ansichten nur bestätigt: Wir können aufeinander verzichten.

Am Ende gibt es ein Motiv, das ich nicht ganz deuten konnte. Als der Rückkehrer auf den Gleisen das Dorf verlässt, erscheint ihm ein junges Mädchen, das einen Korb mit Teigrollen bei sich hat und ihm anbietet. Es gäbe ein Opferfest des Vaters, sagt sie, und bittet ihn, sich zu bedienen. Hiermit könnte auf den Tod des zurückgekehrten Sohnes hingewiesen sein.


Kochaj i tańcz (Liebe und Tanz), Bruce Parramore, Polen 2009

Ein Hochglanz-Dirty-Dancing im Warschau des 21. Jahrhunderts. Diese bewegte Foto-Love-Story könnte aus der Gala sein, die die Protagonistin abends vor dem Einschlafen liest. Es soll wohl ein Tanzfilm sein, nur leider sind sämtliche Tanzszenen völlig zerschnitten. Teilweise wird man in Sekundenbruchteilen mit flackernden Bildern bombardiert. Die eigentlichen Tänze gehen in der Effekthascherei leider unter. Was bleibt, sind die unangenehm perfekt wirkenden Jugendlichen mit Modellmaßen und unnatürlicher Gesichtsfrische nach durchtanzten Nächten.

Die Parabel ist die eines Kindermärchens: Der Vater, für die Karriere in die USA abgehauen, kommt als weltberühmter Tanzlehrer nach Polen zurück. Die Tochter, die ihren Vater bis dato nicht kannte, ist anfangs skeptisch und steht natürlich irgendwann auf ihren Papa. Während sie für eine Modezeitschrift über Tanz berichten soll, entdeckt sie mit dem Tanz-Märchenprinzen ganz schnell, dass sie auch „Tanz im Blut hat“, wie sie sagt. Klar, der Papa. Zum Schluss stehen jedenfalls alle vereint vor einer katholischen Kirche, Mama, Papa, Prinzessin und Prinz. Die Probleme haben sich in den 120 Minuten wie von selbst gelöst.

Das eigentlich Unangenehme neben der billigen Story ist aber die Inszenierung der Menschen. Ihre Reaktionen sind unmenschlich und puppenhaft, ihr Aussehen entspricht dem von Werbefiguren. Die Figuren haben keine Tiefen, sie sind charakterlich poliert und langweilig. Die Beleuchtung ist stets perfekt und die Bilder sind makellos. Macht euch ein eigenes Bild, Filmausschnitte (das sind keine Trailer oder Musikvideos) gibt es hier.


8 w poziomie (Horizontal 8), Grzegorz Lipiec, Polen 2009

Mit „Horizontal 8“ oder „8 waagerecht“ liefert der „Meister der Off-Szene“ Grzegorz Lipiec ein verwirrendes Filmwerk. in einem stilistischen Mosaik hangelt sich die Geschichte am Weg eines 100-Euro-Scheins um die Machenschaften einer kleinen Gruppe aggressiver Speed-süchtiger Drogenpolizisten, deren Hobby neben dem Zusammenschlagen jugendlicher Hasch-Dealer vor allem darin besteht, Araber zu jagen. In den klaren, kurzen Szenen, die stimmig und nie langweilig sind, beeindrucken insbesondere die verschiedenen Charakterfiguren. Die Mafiosi und Polizisten sind alle zwar derb überzeichnet, aber nie zu albern oder unglaubwürdig, und somit immer angsteinflößend und komisch zugleich. Wer Lust auf einen unkonventionellen Kleinstadtkrimi samt Komik und Sozialkritik hat, sollte diesen Film sehen. Hier ein Trailer.


Mein 89, Jospehine Frydetzki/ Ester Amrami/ Konrad Kästner/ Banu Kepenek/ Jöns Jönsson/ Štepan Altrichter, Deutschland 2009

Sechs Nachwuchsregisseure der HFF Potsdam stellten in ihren zu einer Episode zusammengefassten Kurzfilmen ihr wichtigstes Ereignis im Jahre 1989 vor. Der Mauerfall kam überall vor, mal zentral, mal nur am Rand. Lustig war Štepan Altrichters Idee, einen Schuljungen in Prag in seinen Träumen zu Knight Rider werden zu lassen, um dann mit KITT den Spitzel aus der Nachbarschaft zu jagen. Am besten gefiel mir aber der Beitrag von Jöns Jönsson, für den das Jahr 1989 eine Trennung bedeutete: die seiner Eltern und damit seiner Familie. In dem Dokumentarfilm reflektierten seine Eltern und Geschwister in Schweden die Ereignisse um den Bruch 1989. Ein Thema von dieser Intensität und auch Intimität vor die Kamera zu holen, kann in die Hose gehen. Mit Jönssons Film erhält man aber keinen Blick von außen auf ein Phänomen, sondern den kritisch begleiteten Rückblick jener Ereignisse, die der Regisseur selbst erlebt hat. Die Familie des Autors ist in diesem Film zwar das zentrale Beispiel, aber nicht das Thema. Das Thema ist die Frage nach der Vereinbarkeit von Leben und Familie. Und die Wunden aller Beteiligten, die sich aus den Unregelmäßigkeiten von Familie und Leben ergeben.

Mein 89 ist am Donnerstag, 3.12.2009 um 23:20 im rbb zu sehen.


Siehe auch:
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Filmfestival Cottbus – Resumé Mittwoch

Auch das Cottbusser Wetter verlangte einen Kinotag


Boogie, Radu Muntean, Rumänien 2008

Radu Muntean gelingt nach Hîrtia va fi albastră mit Boogie ein weiterer authentischer Ausschnitt aus dem rumänischen Alltag. Die Story ist fast verschwunden, die Menschen stehen im Mittelpunkt dieses 2008 erschienenen Films. Es macht großen Spaß, den jungen rumänischen Schauspielern Anamaria Marinca (432, Storm) und Dragoş Bucur (Marfa şi bani, Furia) auf der Leinwand zuzusehen.

Ein junges Pärchen samt Kind (Vlad Muntean) ist im Urlaub. Sämtliche Szenen sind nahezu schnittlos durchgespielt und trotzdem wirkt keine improvisiert. Die Rollen sind authentisch gelebt. Die gefühlte Abwesenheit der Kamera bringt eine unheimliche Nähe zu den Figuren, was der Filmkritiker Bernd Buder zur Begrüßung vor dem Film zurecht als „dokumentarischen“ Stil bezeichnete.

Der Film hat kein spezifisch rumänisches Thema. Es ist die Alltäglichkeit der menschlichen Probleme, die diesen Film so berührend macht. In weniger als 24 Stunden Handlungszeit gibt er einen unsentimentalen Blick auf ein „Mittelstands“-Pärchen, das mit den großen Fragen des Lebens kämpft. Dabei existieren keine eindeutigen Sympathieträger. Alle Seiten bleiben nachvollziehbar.

Zu dritt trinken die Männer, gehen bowlen und singen in Bogdans neuem Familienauto die Lieder alter Zeiten. Smaranda ist bereits zurück im Hotel, weil das Kind ins Bett musste. Diese Ausgangssituation gibt die Spannung für den Filmverlauf. Bogdans Sehnsucht nach dem Ausbruch aus den Familienstrukturen und seine Flucht vor Verantwortung prallen auf Smarandas Enttäuschung über den Verlauf des Urlaubs. Eine Nacht mit alten Kumpels, Bier und gekauftem Sex statt familiärer Wärme. Am Morgen, als Bogdan angetrunken nach Hause kommt, ist es Smaranda, die sich für ihre Vorwürfe der letzten Nacht entschuldigt.


Kozelat (Der Ziegenbock), Georgi Dyulgerov, Bulgarien 2009

Der Film hat mir insgesamt nicht gefallen. Die Erzählperspektive eines Ziegenbocks, der auf die Menschen schaut, ist eine lustige Idee, aber die Handlung ist nicht überzeugend. Die Rollen sind durchweg einfach und mit Klischees angehäuft. Der Film versucht sich auf locker-komische Weise dem Nationalismus in Bulgarien zu nähern, irgendeine Botschaft konnte ich aber nicht erkennen. Mal werden Mythen lächerlich gemacht, ein anderes Mal werden minutenlang die Folklore-Gesänge der amerikanischen Schauspielerin Angela Rodel pathetisch inszeniert, die ansonsten auch noch schlecht spielt.

Eine gute Szene ist die, in der der bulgarische Protagonist Yona und die Amerikanerin Emma aneinander vorbeireden, sich beide aber dadurch verstehen, dass jeder das versteht, was er verstehen möchte. Beide verstehen die Sprache des anderen nicht und freuen sich aber über den für sie jeweils angenehmen Gesprächsverlauf, den sie nur aus den Gesten ableiten.

Zum Filmende heißt es: Das thrakische Erbe konnte niemand retten, aber touristisch lässt es sich vermarkten. Yona heiratet dann doch nur die Romni Ivanka, die sich zuvor sexuell für ihn prostituierte. Emma, auf die es Yona eigentlich abgesehen hatte, verließ Bulgarien wieder mit ihrem Mann. Über Skype wird immerhin noch gemeinsam musiziert, während die (inzwischen nicht mehr schmutzige) Ivanka Touristenführungen zu den alten Wandmalereien durchführt.


Alive!, Artan Minarolli, Albanien/ Österreich/ Frankreich 2009

Der Film beginnt wie eine US-Highschool-Serie. Kali, der äußerlich als albanischer Enrique Eglesias durchgehen könnte, geht in Diskos, trinkt Bier und die Kamera ist dabei, wenn er seine halbnackte hübsche Freundin küsst. Der in Tirana lebende Student (Fach: albanische Literatur) ist wohl der perfekte Schwiegersohn.

Die glänzende Teenager-Welt wird dann vom Tod des Vaters im Heimatdorf überschattet. Das eigentliche Problem ist allerdings, dass Kali die auf seinem Vater liegende Blutrache erbt und ab sofort in Lebensgefahr schwebt. Aus dieser Situation kommt er nicht mehr heraus, zu starr hält die rachsüchtige Familie am Kanun fest. Eine Flucht quer durch Albanien beginnt.

Die schönen Landschaftsaufnahmen stehen im Kontrast zu den verwestlichten Tirana-Bildern des Anfangs. Kali trifft auf hilfsbereite Menschen, erlebt Feiern, Streit, Angst, Leid und Freude. Auch weitere Küsse mit einer wohlhabenden Schönheit sind dem Herzensbrecher nicht vergönnt. Die ganze Zeit über bleibt dem Protagonisten und dem Zuschauer die Todesgefahr im Hinterkopf. Der Film ist schnell und modern, das Hollywood-Kino ist als Inspiration eindeutig erkennbar. Einzig albanisch ist das Thema Blutrache, das dem Protagonisten bis zum Schluss verfolgt. Während der glatte und durchweg makellose junge Mann ein freies, modernes Leben in Tirana führte, holten ihn die archaischen Lebensformen des Dorfes zurück in eine Realität aus der Vergangenheit. So bleibt der Film, neben schönen Bildern vom traditionellen Dorf, auf dem einfachen Schema Pro-Westen versus Blutrache hängen und ist damit etwas einfach gestrickt.


Caravana Cinematică (Kino Caravan), Titus Muntean, Rumänien/ Deutschland 2009

Der Film ist sehr empfehlenswert. In unangestrengter Komik wird die kommunistische Erziehung auf den Arm genommen, die mit mobilen Kinos in LKW über die Dörfer zog, um Propagandafilme zu zeigen. Der Film hat den Humor, den man aus A fost sau n-a fost kennt. Die Figuren werden nicht bloßgestellt, sondern in ihren Lebenssituationen dargestellt. Im Gegensatz zu einem Film wie Sonnenallee ist dieser rumänische Film ein weiteres Beispiel dafür, wie man sich mit der kommunistischen Lebenswirklichkeit auch humorvoll auseinandersetzen kann, ohne die Figuren lächerlich zu machen. Es gibt kein Gut und kein Böse, es gibt nur die verschiedenen Erwartungen ans Leben, die mit den Dorfbewohnern und den zwei mobilen Kinobetreibern aufeinanderprallen.

Einer der Parteifunktionäre verliebt sich im Laufe des Films in eine Dorfbewohnerin, was ein beklemmendes Ende nimmt und das Komische am Schluss des Films überschattet.


Crnci (Die Schwarzen), Zvonimir Jurić/ Goran Dević, Kroatien 2009

Der letzte Film war bedrückend und sollte gesehen werden. Soldaten der Militär-Sondereinheit „Crnci“ (Die Schwarzen) werden Opfer ihrer eigenen Nervosität und Aggression. Die wackelige Handkamera im Mannschaftswagen gleich in der ersten Szene zeigt, dass sich Zvonimir Jurić an Hîrtia va fi albastră orientiert hat. Dass der rumänische Film seine wichtigste Inspiration ist, hat er im Publikumsgespräch nach dem Film deutlich gesagt.

Dieser (Anti)Kriegsfilm begleitet die Soldaten in den emotional aufreibenden Situationen. Kampfhandlungen spielen kaum eine Rolle, die psychische Zermürbung der Männer durch Angst, Panik und Ausweglosigkeit wird ausgezeichnet vermittelt. Es gibt keine Musik, eher verstörende Geräusche, langgezogene Töne. Dazu das farbenschwache Bild, eine zuckende Kamera und weiße, verschwitzte Gesichter von Jugendlichen in Uniform. Der größte Teil spielt in einer kasernenähnlichen Unterkunft mit Linoleumboden und Neonröhren. Schlaf gibt es nicht, dafür verteilt der Chef Alkohol.

Der Film nimmt sich Zeit. Während der langen Kameraeinstellungen lernt man die Menschen unter den Uniformen besser kennen. Die Kritik am Krieg bleibt angenehm unpädagogisch. Die Sinnlosigkeit des Krieges erklärt sich zudem, ohne einen einzigen feindlichen Soldaten zu zeigen. Damit stellt der Film Krieg generell zwar in Frage, bleibt aber auch unpolitisch, da kein direkter Zusammenhang zu jenem spezifischen Krieg in Jugoslawien oder zu den kroatischen Militärstrukturen herstellt. Auf die kroatischen Reaktionen dieses neuen Films ist der Regisseur Zvonimir Jurić gespannt, der sagt, er wollte in erster Linie einen verstörenden Film machen.


Siehe auch:
Filmfestival Cottbus – vier Filme am Donnerstag
Filmfestival Cottbus – mein Freitag und Samstag