Auch das Cottbusser Wetter verlangte einen Kinotag
Boogie, Radu Muntean, Rumänien 2008
Radu Muntean gelingt nach Hîrtia va fi albastră mit Boogie ein weiterer authentischer Ausschnitt aus dem rumänischen Alltag. Die Story ist fast verschwunden, die Menschen stehen im Mittelpunkt dieses 2008 erschienenen Films. Es macht großen Spaß, den jungen rumänischen Schauspielern Anamaria Marinca (432, Storm) und Dragoş Bucur (Marfa şi bani, Furia) auf der Leinwand zuzusehen.
Ein junges Pärchen samt Kind (Vlad Muntean) ist im Urlaub. Sämtliche Szenen sind nahezu schnittlos durchgespielt und trotzdem wirkt keine improvisiert. Die Rollen sind authentisch gelebt. Die gefühlte Abwesenheit der Kamera bringt eine unheimliche Nähe zu den Figuren, was der Filmkritiker Bernd Buder zur Begrüßung vor dem Film zurecht als „dokumentarischen“ Stil bezeichnete.
Der Film hat kein spezifisch rumänisches Thema. Es ist die Alltäglichkeit der menschlichen Probleme, die diesen Film so berührend macht. In weniger als 24 Stunden Handlungszeit gibt er einen unsentimentalen Blick auf ein „Mittelstands“-Pärchen, das mit den großen Fragen des Lebens kämpft. Dabei existieren keine eindeutigen Sympathieträger. Alle Seiten bleiben nachvollziehbar.
Zu dritt trinken die Männer, gehen bowlen und singen in Bogdans neuem Familienauto die Lieder alter Zeiten. Smaranda ist bereits zurück im Hotel, weil das Kind ins Bett musste. Diese Ausgangssituation gibt die Spannung für den Filmverlauf. Bogdans Sehnsucht nach dem Ausbruch aus den Familienstrukturen und seine Flucht vor Verantwortung prallen auf Smarandas Enttäuschung über den Verlauf des Urlaubs. Eine Nacht mit alten Kumpels, Bier und gekauftem Sex statt familiärer Wärme. Am Morgen, als Bogdan angetrunken nach Hause kommt, ist es Smaranda, die sich für ihre Vorwürfe der letzten Nacht entschuldigt.
Kozelat (Der Ziegenbock), Georgi Dyulgerov, Bulgarien 2009
Der Film hat mir insgesamt nicht gefallen. Die Erzählperspektive eines Ziegenbocks, der auf die Menschen schaut, ist eine lustige Idee, aber die Handlung ist nicht überzeugend. Die Rollen sind durchweg einfach und mit Klischees angehäuft. Der Film versucht sich auf locker-komische Weise dem Nationalismus in Bulgarien zu nähern, irgendeine Botschaft konnte ich aber nicht erkennen. Mal werden Mythen lächerlich gemacht, ein anderes Mal werden minutenlang die Folklore-Gesänge der amerikanischen Schauspielerin Angela Rodel pathetisch inszeniert, die ansonsten auch noch schlecht spielt.
Eine gute Szene ist die, in der der bulgarische Protagonist Yona und die Amerikanerin Emma aneinander vorbeireden, sich beide aber dadurch verstehen, dass jeder das versteht, was er verstehen möchte. Beide verstehen die Sprache des anderen nicht und freuen sich aber über den für sie jeweils angenehmen Gesprächsverlauf, den sie nur aus den Gesten ableiten.
Zum Filmende heißt es: Das thrakische Erbe konnte niemand retten, aber touristisch lässt es sich vermarkten. Yona heiratet dann doch nur die Romni Ivanka, die sich zuvor sexuell für ihn prostituierte. Emma, auf die es Yona eigentlich abgesehen hatte, verließ Bulgarien wieder mit ihrem Mann. Über Skype wird immerhin noch gemeinsam musiziert, während die (inzwischen nicht mehr schmutzige) Ivanka Touristenführungen zu den alten Wandmalereien durchführt.
Alive!, Artan Minarolli, Albanien/ Österreich/ Frankreich 2009
Der Film beginnt wie eine US-Highschool-Serie. Kali, der äußerlich als albanischer Enrique Eglesias durchgehen könnte, geht in Diskos, trinkt Bier und die Kamera ist dabei, wenn er seine halbnackte hübsche Freundin küsst. Der in Tirana lebende Student (Fach: albanische Literatur) ist wohl der perfekte Schwiegersohn.
Die glänzende Teenager-Welt wird dann vom Tod des Vaters im Heimatdorf überschattet. Das eigentliche Problem ist allerdings, dass Kali die auf seinem Vater liegende Blutrache erbt und ab sofort in Lebensgefahr schwebt. Aus dieser Situation kommt er nicht mehr heraus, zu starr hält die rachsüchtige Familie am Kanun fest. Eine Flucht quer durch Albanien beginnt.
Die schönen Landschaftsaufnahmen stehen im Kontrast zu den verwestlichten Tirana-Bildern des Anfangs. Kali trifft auf hilfsbereite Menschen, erlebt Feiern, Streit, Angst, Leid und Freude. Auch weitere Küsse mit einer wohlhabenden Schönheit sind dem Herzensbrecher nicht vergönnt. Die ganze Zeit über bleibt dem Protagonisten und dem Zuschauer die Todesgefahr im Hinterkopf. Der Film ist schnell und modern, das Hollywood-Kino ist als Inspiration eindeutig erkennbar. Einzig albanisch ist das Thema Blutrache, das dem Protagonisten bis zum Schluss verfolgt. Während der glatte und durchweg makellose junge Mann ein freies, modernes Leben in Tirana führte, holten ihn die archaischen Lebensformen des Dorfes zurück in eine Realität aus der Vergangenheit. So bleibt der Film, neben schönen Bildern vom traditionellen Dorf, auf dem einfachen Schema Pro-Westen versus Blutrache hängen und ist damit etwas einfach gestrickt.
Caravana Cinematică (Kino Caravan), Titus Muntean, Rumänien/ Deutschland 2009
Der Film ist sehr empfehlenswert. In unangestrengter Komik wird die kommunistische Erziehung auf den Arm genommen, die mit mobilen Kinos in LKW über die Dörfer zog, um Propagandafilme zu zeigen. Der Film hat den Humor, den man aus A fost sau n-a fost kennt. Die Figuren werden nicht bloßgestellt, sondern in ihren Lebenssituationen dargestellt. Im Gegensatz zu einem Film wie Sonnenallee ist dieser rumänische Film ein weiteres Beispiel dafür, wie man sich mit der kommunistischen Lebenswirklichkeit auch humorvoll auseinandersetzen kann, ohne die Figuren lächerlich zu machen. Es gibt kein Gut und kein Böse, es gibt nur die verschiedenen Erwartungen ans Leben, die mit den Dorfbewohnern und den zwei mobilen Kinobetreibern aufeinanderprallen.
Einer der Parteifunktionäre verliebt sich im Laufe des Films in eine Dorfbewohnerin, was ein beklemmendes Ende nimmt und das Komische am Schluss des Films überschattet.
Crnci (Die Schwarzen), Zvonimir Jurić/ Goran Dević, Kroatien 2009
Der letzte Film war bedrückend und sollte gesehen werden. Soldaten der Militär-Sondereinheit „Crnci“ (Die Schwarzen) werden Opfer ihrer eigenen Nervosität und Aggression. Die wackelige Handkamera im Mannschaftswagen gleich in der ersten Szene zeigt, dass sich Zvonimir Jurić an Hîrtia va fi albastră orientiert hat. Dass der rumänische Film seine wichtigste Inspiration ist, hat er im Publikumsgespräch nach dem Film deutlich gesagt.
Dieser (Anti)Kriegsfilm begleitet die Soldaten in den emotional aufreibenden Situationen. Kampfhandlungen spielen kaum eine Rolle, die psychische Zermürbung der Männer durch Angst, Panik und Ausweglosigkeit wird ausgezeichnet vermittelt. Es gibt keine Musik, eher verstörende Geräusche, langgezogene Töne. Dazu das farbenschwache Bild, eine zuckende Kamera und weiße, verschwitzte Gesichter von Jugendlichen in Uniform. Der größte Teil spielt in einer kasernenähnlichen Unterkunft mit Linoleumboden und Neonröhren. Schlaf gibt es nicht, dafür verteilt der Chef Alkohol.
Der Film nimmt sich Zeit. Während der langen Kameraeinstellungen lernt man die Menschen unter den Uniformen besser kennen. Die Kritik am Krieg bleibt angenehm unpädagogisch. Die Sinnlosigkeit des Krieges erklärt sich zudem, ohne einen einzigen feindlichen Soldaten zu zeigen. Damit stellt der Film Krieg generell zwar in Frage, bleibt aber auch unpolitisch, da kein direkter Zusammenhang zu jenem spezifischen Krieg in Jugoslawien oder zu den kroatischen Militärstrukturen herstellt. Auf die kroatischen Reaktionen dieses neuen Films ist der Regisseur Zvonimir Jurić gespannt, der sagt, er wollte in erster Linie einen verstörenden Film machen.
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Siehe auch:
Filmfestival Cottbus – vier Filme am Donnerstag
Filmfestival Cottbus – mein Freitag und Samstag