Wiesbadener Filmdonnerstag

Mein erster goEast-Tag


Zu Gast im Nachkrieg

Nicht den Krieg thematisieren, sondern die ständige Thematisierung des Krieges. Einen Eindruck von der Welt zeigen, in der man Aufmerksamkeit und Bedeutung zum Schluss doch nur als Opfer eines Krieges erhalten soll. Das versucht auf sehr ruhige Weise der Film Armin (Bosnien-Herzegowina, Deutschland, Kroatien 2007) von Ognjen Sviličić.

Armin (Armin Omerović) und sein Vater machen sich vom bosnischen Dorf auf in die kroatische Hauptstadt, um an einem Filmcasting für eine deutsche Produktion teilzunehmen. Der nervöse Vater sorgt in seiner anstrengend-liebevollen Überfürsorglichkeit für einige Lacher, gerade im Kontrast zum etwas introvertierten Sohn.

Man sieht dem Spielerpaar gern zu. Emir Hadžihafizbegović überzeugt als engagierter Vater, der für seinen Jungen nur das Beste will und dementsprechend überall als dessen Vertreter auftritt, die tatsächliche Anwesenheit des Sohnes dabei scheinbar aber vergisst. Die ruhigen Bilder lassen sich Zeit und geben einen intimen Einblick in die oft angespannte Zweisamkeit. Diese Beziehung zwischen zwei Generationen Mann ist die feinfühlige dramaturgische Grundlage für ein größeres Problem.

In ungenierter Weise ist der Vater bereit alles zu geben, damit Armin für den Film genommen wird. Fast alles. Die Grenze ist erreicht, als die deutschen Produzenten Armin bitten, als traumatisiertes Opfer für eine Dokumentation über die privaten Kriegserfahrungen von bosnischen Kindern vor der Kamera zu stehen.

Wie genau dieser Konflikt und seine Lösung umgesetzt sind, soll jeder selber sehen. Soviel aber sei verraten: Es gelingt dem Film, ohne Zeigefingermoral die Perspektive von Menschen zu beleuchten, die nicht bereit sind, von deutschen Kameras auf ihre persönlichen Leiden reduziert zu werden.

http://www.youtube.com/watch?v=0yatfHQmzDw

Deutsche Türken als Tschetschenen in Estland und ein finnischer Regisseur

Am frühen Abend sah ich mit Vasha (Estland, Deutschland, Finnland 2009) von Hannu Salonen den nächsten gelungenen Film. Dieser kommt zunächst wie eine Mafia-Komödie daher, in der „die Gangster“ sich charakterlich markant als Tschetschenen in Tallinn von den Esten abheben. Als der Weltenbummler Tom (Mart Müürisepp) durch folgenreiche Zufälle den von Mehmet Kurtuluş grandios gespielten Artur näher kennenlernt, entstrickt sich eine Geschichte ohne Gut und Böse. Ein fieser estnischer Kommissar und Arturs ihn einholende Vergangenheit in Tschetschenien schweißen ihn mit Tom zusammen.

Zunächst aufgebaute Stereotype werden durchbrochen, sichtbare, klar negative Antagonisten gibt es nicht. Ich fand keine Sekunde dieses Films langweilig, Räume und Kontexte verschiedenster Figuren wurden stimmig und reizvoll beleuchtet. Vom Klamauk verabschiedet sich der Film spätestens, als Artur einen Freund und „Bruder“ in einem deutschen Waldstück skrupellos hinrichtet. Gemeinsam mit Tom, der das beobachtet, zweifelt man als Zuschauer an der Konsistenz Arturs, die Figur handelt völlig unvorhersehbar. Dem anfangs jungspunthaften Tom hat sich eine raue Welt offenbart.

Das Grundmotiv des Films ist wichtig und wird in diesem Thriller gut umgesetzt. Die zweifelhafte europäische Geborgenheit wird als Illusion enttarnt. Erst später im Filmverlauf ist zu sehen, dass die schöne Krankenschwester, in die sich Tom verliebt, zusätzlich als Prostituierte arbeitet. Der Film drängt uns den Blick hinter die Fassaden auf. Gern verdrängte Themen figuralisieren sich in der Salonenschen Filmdramaturgie als Menschen, die es mit ihrem Gepäck voller Tschetschenien-Erfahrungen nicht schaffen, an die europäischen Geborgenheitsmuster anzudocken. Brutale Szenen wollen Aufmerksamkeit und sollen wachrütteln.

Trotz meines insgesamt positiven Eindrucks von dem Film bleibt ein Punkt kritisch anzumerken: Die Sterotypisierung der Russen. Russen bleiben als von den Figuren angesprochenes Thema (aus der Sicht von Esten und Tschetschenen) im Raum stehen. Ein damit relativ einseitiges Feindbild hätte vermieden werden können, wenn in dem ohnehin kontrastreichen Figurenensemble die ein oder andere Figur als Repräsentant „der Russen“ (und damit als Mensch, nicht nur als „Thema“ von Tschetschenen und Esten) aufgetaucht wäre. So aber blieben „die Russen“ leider nur ein unkonkretes Negativgespenst, das sich unterschwellig durch die Filmhandlung schleicht, um hier und da seicht durchzuschimmern.

Mein dritter Film am Donnserstag war jener georgische, der auch Gewinner des Festivalwettbewerbs wurde. Darum im separaten Artikel hier: goEast-Gewinner 2010 aus Georgien


Siehe auch:
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