Zeiten müssen das gewesen sein…
Am 4.1.1991, also vor ziemlich genau 20 Jahren, hielt Joschka Fischer eine flammende Rede gegen die Remilitarisierung der wiedervereinigten Bundesrepublik. Die Grünen trugen noch keine (Bundes)Regierungsverantwortung und Joschka Fischer legte in seiner Rede im Januar 1991 eine für die Grünen seinerzeit noch wesenskennzeichnende kriegskritische Haltung an den Tag. Gerade vor dem Hintergrund der Wiedervereinigung wollte er seinen Parteifreunden die Gefahren ins Gedächtnis rufen, die sich mit einem vergrößerten und hochgerüsteten NATO-Mitglied Deutschland andeuteten:
(ab 4:23) Wir geraten da in eine Situation, da möcht‘ ich Euch auffordern, lehnt Euch an diesem Punkt nicht zurück! Jetzt kommt die Stunde, wo wir wieder auf die Straße gehen müssen – friedlich, gewaltfrei – aber wo es darum geht, klarzumachen, dass wir den Satz, dass von deutschem Boden nie wieder Krieg ausgehen soll, dass wir den nicht nur sonntäglich hören wollen von unseren Bonner Politikern, sondern dass wir den in der praktischen Politik realisiert sehen wollen. (Joschka Fischer in Fritzlar am 4.1.1991)
http://www.youtube.com/watch?v=tIdfO2BqYas
Das ist 20 Jahre her und in der Zwischenzeit nutzte Joschka Fischer höchstpersönlich die Möglichkeit der „praktischen Politik“, um die Bombardierung eines fremden Landes ohne UN-Mandat, erstmals mit aktiver deutscher Beteiligung nach 1945 („von deutschem Boden aus“) in die Tat umzusetzen. Ob das die unvermeidbare Entwicklung eines politischen Menschen im Zuge einer wichtigen Amtsfunktion ist, kann ich nicht beurteilen. Interessant jedenfalls sind seine rhetorischen Griffe, mit denen er 1999 in Bielefeld vor den Grünen den Krieg rechtfertigt (mit der Logik „Gegen Krieg = für Milošević“ u.v.m.):
http://www.youtube.com/watch?v=7jsKCOTM4Ms
Nicht weniger interessant ist auch die Rede auf dem gleichen Parteitag von Fischers Parteifreundin Annelie Buntenbach, einer Gegnerin dieses Krieges mit deutscher Beteiligung:
http://www.youtube.com/watch?v=UckokjNcDwU
Wen das Thema deutsche Serbien-Bombardierung interessiert: Die Möglichkeiten der Vermeidung dieses Krieges beschrieb Hermann Scheer klar und verständlich in seiner „Denkschrift für eine politische Initiative statt militärischer Eskalation“. Dem jüngst verstorbenen SPD-Mitglied Scheer gelang es nämlich problemlos, Gedanken weit über seine Parteigrenzen hinaus zu formulieren (Hermann Scheer – Energie und Utopie). Heute wird Scheer in grünen und SPD-Nachrufen von Kriegsbefürwortern höflich für seinen „Mut“ gelobt.
Die 20 Jahre alte Rede von Fischer und seine späteren Amtshandlungen verdeutlichen, dass politische Verantwortung sich nicht an Parteigrenzen festmachen lässt. Hans-Christian Ströbele muss unter den mehrheitlich kriegsbefürwortenden Grünen (Kosovo, Afghanistan) 2010 aus einer Minderheitenposition heraus im Bundestag darauf hinweisen, dass der deutsche KFOR-Einsatz nach der Bombardierung Serbiens nicht jener große Erfolg ist, als der er von SPD, CDU/CSU, Grünen und FDP verkauft wurde und wird.
http://www.youtube.com/watch?v=s67tr5cqdEY
Dann schwebt durch den deutschen Bundestag ein Hauch von Grün minus 20 ….
(update: ja, er schwebt, er weht nicht … und was ich damit meine ist die ehrliche Benennung von durch den Krieg geschaffenen Fakten und der Vergleich damit, was Fischer mit dem Krieg versprach)