Zum 20. Mal ist in Cottbus der osteuropäische Film zu Besuch
Das Wetter lädt zum Kino-Besuch ein in Cottbus, am heutigen Filmmittwoch. Der Himmel ist verhangen und es nieselt. Filme gibt es genug zu sehen, das Programm ist dicht. Es sei aber ein schwaches Produktionsjahr 2010 gewesen, meinte eine Festivalkennerin zu mir, das merke man auch hier in Cottbus. In den Vorjahren hätten sich die verschiedenen europäischen Festivals mit Ost-Schwerpunkt stärker unterschieden, während sich in diesem Jahr aufgrund einer ähnlichen Filmauswahl die Programme überschneiden würden.
Filmfestival Cottbus 2010, Stadthalle
Eine große Bedeutung für das Cottbusser Festival hat inzwischen die Kontaktveranstaltung Connecting Cottbus, zu der sich während des Festivals Filmschaffende treffen, um zukünftige Produktionen zu koordinieren und zu „pitchen“. Die Filmvorführungen für das öffentliche Publikum und der Wettbewerb dürften aber weiterhin ein Schwerpunkt des Festivals bleiben, denn öffentliches Interesse am osteuropäischen Film gibt es offensichtlich – die Kinos sind teilweise komplett besetzt.
Die große Menge Filme wird in vielen Kinos über die Stadt verteilt gezeigt. Weil das Filmtheater Weltspiegel in diesem Jahr wegen Rekonstruktionsarbeiten als Vorführstätte ausfällt und auch der untere Saal im Glad House von der Liste genommen wurde, sind viele Filme erstmals in zwei Säle der UCI-Kinowelt verlegt worden, die allerdings weit außerhalb der Innenstadt in einem Gewerbegebiet liegt. Zwischen dem zentralen Anlaufpunkt, der Cottbusser Stadthalle, und dem UCI-Gebäude liegen 6 km Fahrt- bzw. Fußweg.
Ein mit ÖPNV-Bussen eingerichteter Shuttle-Service funktioniert hier zwar an sich sehr gut, ist aber auf pünktlich beginnende Filme abgestimmt. Sobald ein Film verspätet beginnt, ist der Shuttle nach dem Film (und der Diskussion) weg und im ungünstigsten Fall steht man dann im Gewerbegebiet Cottbus Süd abends im Nieselregen, ohne Anschluss.
Die Verlagerung in die entfernte UCI-Welt war bisher der kritischste Punkt, über den ich mehrere unerfreute Stimmen hörte. Dass Filme mit Verspätung beginnen geschieht meinem Eindruck nach nicht mehr so häufig wie 2009 und ist eigentlich auch kein wesentlicher Punkt, solange man eben keinen (Film-)Anschluss dadurch verpasst. Erst bei einer Filmverzögerung habe ich übrigens nebenbei gelernt, dass ein Filmvorführer in der UCI-Kinowelt heutzutage mehrere Kinosäle zeitgleich bedienen muss. Ob er zwischen verschiedenen Abspielräumen wechseln muss oder ob mehrere Säle an einen Abspielraum grenzen, habe ich (noch) nicht herausbekommen.
Update 10.11.2010
So, mit einiger Verspätung gibt es im Folgenden einen Überblick zu einigen Filmen die ich dieses Jahr in Cottbus gesehen habe.
Nachdem die Preisträger des diesjährigen Festivals ja feststehen, will ich gleich mit dem Hauptpreis beginnen: Den bekam der serbische Film Beli, beli svet (White White World). Der Film ist wirklich gut, aber ich fand ihn nicht sehr gut. Das Beeindruckendste an dem Film ist Jasna Đuričić in der Rolle der Mutter namens Ružička, die nach Jahren den Knast verlässt und vor neuen Realitäten steht. Diese Realitäten sind die Grundlage für den Filmplot, der sich in Form des griechischen Dramas entspinnt, Handlungszentrum ist die serbische Kleinstadt Bor (die mit ihren riesigen Kupferminen einem weiteren Cottbusser Wettbewerbsfilm als Kulisse diente.) Auf dem Höhepunkt jedenfalls explodieren so viele dramatische Ereignisse innerhalb weniger Minuten auf einmal, dass die in den Bildern und im Schauspiel vermittelte Authentizität arg leidet. Hinzu kommen Gesangpassagen, die an zwei, drei Stellen gut passten, aber insgesamt zu oft und auch etwas kitschig angelegt sind. Neben Jasna Đuričić überzeugte mich Nebojša Glogovac als alkoholkranker Mann, dessen Bruder von Ružička getötet wurde (was der Grund für ihren Knastaufenthalt war). Glogovac hatte übrigens auch die Hauptrolle im tollen Eröffnungsfilm Žena sa slomljenim nosem/ Die Frau mit der gebrochenen Nase.
Ich hatte drei Favoriten für den Hauptpreis, die allesamt leer ausgingen. Oder nicht ganz. Denn Tilva Roš, ein weiterer serbischer Film, der auch noch in Bor spielt, erhielt einen der unzähligen Preise, die in Cottbus von Stiftern und Förderern neben dem Wettbewerb verliehen wurden. In diesem Film spielen Skater sich selbst, was von einem in Cottbus anwesenden Darsteller auch mehrfach betont wurde („We are no actors!“). Der Film ist das bekennend skriptlose Portrait einer Generation Jackass, die sich zwischen sinnloser Gewalt und gesellschaftlichem Druck zu orientieren sucht. Er nimmt seine Figuren ernst, portraitiert sie weder herabblickend, noch moralisierend. Das Publikum wird auch von der Überfrachtung mit Jugoslawien-Zerfall-Symbolik oder Nachkriegsästhetik verschont, in Tilva Roš leiden die Menschen unter weit über Serbien hinaus bekannten Problemen: Lohnabhängigkeit und Existenzstress. Die 19-Jährigen Skater werden dabei nicht heroisiert, die Kamera wird eher beiläufig draufgehalten und in dieser Beiläufigkeit wird das Lebensgefühl der Perspektivlosigkeit ins Bild gesetzt. Die Perspektivlosigkeit resultiert aus der zugewiesenen Rolle in einer Gesellschaft, die ihre Teilhaber nach marktrelevanten Verwertungskriterien einstuft. In den gewachsenen Beziehungen zu Freunden entziehen sich die Jugendlichen den institutionellen Bewertungen. Während ihre Elterngeneration gegen Stellenabbau und Lohnkürzungen streikt, machen sich die Skater weniger Illusionen und setzen ihre Kreativität ein, um sich selbst und sich gegenseitig mit halsbrecherischen Stunts zu traktieren.