Ringvorlesung Rassismusforschung TU Berlin 10 — Barbara Schäuble: „Was die Antisemitismusforschung aus der Rassismusforschung lernen kann“

Teil 10 aus der Reihe Ringvorlesung Rassismusforschung

Am Montag vorletzter Woche (11.1.2016) gab es Barbara Schäubles Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung Rassismusforschung an der TU Berlin. Das Thema lautete „Was die Antisemitismusforschung aus der Rassismusforschung lernen kann“. Ich war dort und gebe hier eine kurze Zusammenfassung.

Perspektiven auf Antisemitismus und Rassismus

Barbara Schäuble bemerkt einleitend, dass Antisemitismus und Rassismus, trotz Gemeinsamkeiten, zwei zu unterscheidende Phänomene seien. Während Antisemitismus historisch einen religiösen Ursprung habe, auf dem Bild der Überlegenheit basiere und auf geistige Eigenschaften abhebe, sei Rassismus historisch mit dem Kolonialismus verknüpft, fuße auf Ausbeutung und fokussiere damit auf Körper.

Bereichsübergreifende soziologische Ansätze ermöglichten Vergleiche der beiden Phänomene. Die bisher täter_innenzentrierten Erklärungsmuster, bei denen die Rechtfertigungen der Täter_innen Ausgangspunkt sind, müssten überwunden werden. Das als distanzlos kritisierte Konzept der akzeptierenden Jugendarbeit habe sich als ungeeignet herausgestellt. Demnach sei nicht die Frage, wie(so) Jugendliche rechts würden zu untersuchen, sondern die lokalen Kontexte, die begünstigend zur Entstehung und Organisation rechter Strukturen beitragen. Die konkreten Folgen für die Betroffenen und Einschätzungen aus deren Perspektiven müssen dabei einbezogen werden.

Mit der von Schwarzen/PoC/Migrant_innen erkämpften Beteiligung an akademischen Diskursen ab den 60er Jahren hätten zunehmend Fragen zu Dominanz- und Machtverhältnissen Platz in rassismustheoretischen Überlegungen erhalten. Für den europäischen Kontext sei bspw. Philomena Essed zu nennen, die in den Niederlanden bereits in den 80er Jahren nach der Perspektive der von Rassismus nachteilig Betroffenen fragt. Die Antisemitismusforschung sei dagegen lange auf historische Phänomene ausgerichtet gewesen und rücke erst in letzter Zeit die Gegenwart ins Zentrum der Fragestellungen. Zwar habe es in den 1920er Jahren Analysen von Antisemitismus aus jüdischen Perspektiven gegeben, diese seien jedoch in der Forschung nach 1945 ignoriert worden.

„Objektive“ Standpunkte

Die Ungleichheit bei der Befragung dauere an: Opfer und Zeitzeug_innen von Rassismus und Antisemitismus gelten als weniger relevant bei der Untersuchung der Phänomene, als die sprachmächtige Forschung selbst. Das heißt, primär weiße nicht-jüdische Akteur_innen aus der Wissenschaft sprechen über Gewalt, die von ebenfalls weißen nicht-jüdischen Täter_innen ausgeht. Objektivität sei unmöglich. Die Forschung müsse die Perspektiven einbeziehen, aus denen die Gewalt erlebt wurde und wird, um nicht nur den Standpunkt zu repräsentieren, von dem (potentiell) Gewalt ausgeübt wird.

Als Beispiel für die Einbeziehung rassifizierter Perspektiven in die Forschung nennt Barbara Schäuble u.a. Paul Mecherils interviewbasierte Untersuchungen (s. Prekäre Verhältnisse 2003, Beschreibung/Auszüge). Faktoren wie die Positionierungszwänge für die von Rassismus Benachteiligten und daraus resultierender Stress werden sichtbar gemacht und in der Analyse berücksichtigt. Beispielhaft wird auch die Arbeit von Susanne Offen zu Geschlechterordnungen erwähnt (s. Achsen adoleszenter Zugehörigkeitsarbeit 2013, Beschreibung/Auszüge), in der Betroffene nicht so sehr Diskriminierungserfahrungen problematisieren, als vielmehr die Positionierungszwänge, also den Druck, sich in Ordnungen einfügen zu müssen.

Fragen der Antisemitismusforschung

Die Frage nach den Möglichkeiten, sich als jüdischer Mensch in der Gegenwart sozial zu positionieren, werde auch in der Untersuchung von Antisemitismus bedeutender. So gehe die als Feindbildfoschung mit historischen Fragen etablierte Antisemitismusforschung allmählich zur Analyse von Ursachen in der Gegenwart über. Die Einstellungsforschung, bei der Taten auf einzelne Täter_innen individualisiert wurden und die pädagogische Relativierungen begünstige („Sie wissen ja nicht, was sie tun“), werde ebenfalls zunehmend zurückgelassen.

Ähnlich wie beim Rassismus würde auch der Antisemitismus öffentlich von einer überwiegenden Mehrheit abgelehnt, aber gleichzeitig z.B. in Schlussstrichrhetoriken offen reproduziert. Um dem Phänomen gerecht zu werden müsse die Antisemitismusforschung zur Sozialforschung zurückfinden.

Abschließende Diskussion

In der Abschlussdiskussion nach dem Verhältnis zwischen Antisemitismus und Rassismus gefragt antwortet Barbara Schäuble, sie akzeptiere Rassismus als Oberbegriff für Antisemitismus, plädiere aber für die gesonderte Nennung, um spezifische Unterschiede zu anderen Rassismen, etwa Kolonialrassismus, hervorzuheben.

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Am 18.1.2016 spricht Iman Attia zum Thema „Antimuslimischer Rassismus und Orientalismus“ (dazu die Ankündigung auf facebook und mein Blogpost).