„ein Handwerksmeister, eine Migrantin und eine Unternehmerin“

Am Dienstag (17.6.2014) lud Thomas de Mazière ins Innenministerium zum Gespräch einige Gäste ein, die stellvertretend für den im deutschen Vergleich geburtenstarken Jahrgang 1964 stehen sollten. Dieses symbolische Treffen war der Berliner Zeitung gestern (18.6.2014) einen dreispaltigen Kurzbericht unten auf der Titelseite wert.

Aber nicht die Frage nach der Titelseitenrelevanz eines solchen Aktes von Symbolpolitik, sondern etwas anderes im Text selbst stieß mir unangenehm auf: Nämlich der Versuch, die Unterschiedlichkeit der eingeladenen Menschen zu betonen. So heißt es in dem Text der Berliner Zeitung:

„Der CDU-Politiker hatte etwa ein Dutzend Vertreter des Jahrgangs 1964 in sein Haus gebeten […]. Eine Bundespolizistin war darunter, ein Handwerksmeister, eine Migrantin und eine Unternehmerin.“¹


Fotografierte Titelseite der Berliner Zeitung vom 18.06.2014


Diese Aufzählung gibt Auskunft über eine herrschende Praxis ungleicher Identitätszuschreibung: Während drei der im Text genannten Gäste über ihre Berufe klassifiziert werden (Polizei, Handwerk, Unternehmen) wird eine Person über ein „Migrantin“-Sein definiert. Vom BMI kommt dieses Label nicht, auf der offiziellen Liste des Ministeriums mit den 11 geladenen Gästen ist nirgends von einer Migrantin die Rede, sondern nur von unterschiedlichen Berufen. Dennoch scheint es dem Autor des Zeitungstextes ein Anliegen zu sein, eine der geladenen Personen als „Migrantin“ zu labeln.

Die bewusste (wenn auch sicherlich nicht böse gemeinte) Bezeichnung eines der Gäste als „Migrantin“ gegenüber drei anderen Einordnungen nach Berufen zeigt die Besonderheit, die Abweichung, die mit diesem Begriff transportiert wird: Als sei das Label „Migrantin“ ein Unterscheidungsmerkmal per se, das sich von den Berufsbezeichnungen Bundespolizistin, Unternehmerin oder Handwerker abgrenzen lässt. Selbst wenn die im Zeitungstext aufgezählte Person also auch eine Bundespolizsitin, eine Unternehmerin oder eine Handwerkerin wäre, wird sie dennoch als „Migrantin“ erwähnt, und nicht mit ihrer Berufsbezeichnung.

Genau so funktioniert dieser Begriff. In einem Nachschlagewerk zu Rassismus in der deutschen Sprache heißt es zu „Migrant_in“:

„Als Fremdbezeichnung von außen, etwa durch Mitbürger_innen ohne Migrationshintergrund […] dient der Begriff ›Migrant_in‹, analog zu ›Gastarbeiter‹_in oder ›Mitbürger_in mit Migrationshintergrund‹ […] der Stigmatisierung und dem Verweis auf einen Platz außerhalb der Dominanzgesellschaft.
[…]
Rassifizierende Markierungen als ›anders‹ und ›fremd‹ sollen mit der Vokabel ›Migrant_in‹, die vorgibt, objektiv oder zumindest neutral und damit belastbar zu sein, in eine legitime Form der Klassifizierung überführt werden. Deswegen gilt sie […] logischerweise auch für PoC, die in Deutschland geboren sind. Und zwar zeitlos.“²

Die Aufzählung in dem Zeitungstext, in der allein einer von vier Personen statt eines Berufs das Label „Migrantin“ zugeordnet wird, veranschaulicht die in der Definition genannte Ausschlussfunktion des Begriffs. Der Zuschreibung als „Migrantin“ wird eine größere Bedeutung beigemessen, als ihrer beruflichen Identität. Eine Differenzierung nach sozialen/beruflichen Kategorien bleibt allein den nicht als „Migrant_in“ gelesenen (weißen, nicht rassifizierten) Menschen vorbehalten, der/dem „Migrant_in“ hingegen verwehrt.

Im vorgestellten Beispiel erfolgt die Ausschlusshandlung durch die Anwendung des Begriffs „Migrant_in“ als Fremdbezeichnung auf der Titelseite der Berliner Zeitung. Das ist ganz sicher kein Einzelfall. Auf eine Sensibilisierung für rassistischen Sprachgebrauch im deutschen Journalismus weist dieses Beispiel nicht hin.

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¹ Decker, Markus: „Die 64er“, in: Berliner Zeitung vom 18.06.2014, Titelseite.
² Sow, Noah: Migrant, in: Susan Arndt & Nadja Ofuatey-Alazard (Hg.): Wie Rassismus aus Wörtern spricht, Münster, 2011, S.444. (Inhalt und Vorwort)