Kaisers Kollegen 2

Realismus


Eine „Kaiser’s“-Filiale in Berlin. Der Mann vor mir an der Kasse möchte seine Sachen bezahlen, zuvor jedoch muss sein Vorgänger noch die zwei Kisten im Einkaufswagen anheben. „Einma‘ anheben bitte! Tut mir leid, aber wir werden ja alle kontrolliert.“ meint die Kassiererin. „Macht do nüscht!“, erwidert der Mann.

Mein Vorgänger pflichtet kritisch bei: „Naja, is schon rischtee, manche werdn wegen ’nem Pfandbon jekündicht. Is‘ doch neulich passiert, bei Lidl, war doch überall inne Medien.“ Darauf die Kassiererin: „Nich‘ bei Lidl, bei Kaisers war dit. Die wurde verdächtigt, dass se fremde Pfandbons einjelöst hat. Und dafür wurde se jekündicht. Weil Verdacht is ausreichend.“

Beide meinen den „Fall Emmely“. Wie auch immer man zu dieser Frau und dem Kündigungsgrund stehen mag, er repräsentiert für mich die Entfremdung zwischen Unternehmen und Angestellten. An dieser Frau wurde ein Exempel statuiert, das meiner Meinung nach für Einschüchterung am Arbeitsplatz sorgt. Momentan liegt der Fall wohl beim Bundesarbeitsgericht in Erfurt.

Mein Kassenschlangenvorgänger hat Hoffnung: „Also ick bin dafür, dass die Recht kricht“. Die Kassiererin richtet ihr Gesicht nicht auf und brubbelt leise: „Die krüscht keen Recht. Die krüscht keen Recht.“ Ob sie das geringschätzig oder resigniert meint, kann ich nicht erkennen. Fest steht: Sie hat aus der Pfandbon-Geschichte ihre Schlüsse gezogen. Ihre pragmatisch-realistische Einschätzung zeigt, wo sie sich selber sieht. In der Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts.


siehe auch:
Kaisers Kollegen (1)
sowie ein neues Interview mit Günter Wallraff: Aus der schönen neuen Welt (Radio F.R.E.I. Erfurt)