Die gestrige Sendung „Im Visier der Terroristen – wie bedroht sind wir?“ war unkritisch
Ich sah die Sendung Anne Will einmal gern, das nimmt nun seit Monaten ab. Bisher hatte ich wenigstens immer noch die Vorstellung (und zuletzt die Hoffnung), dass mir bei Anne Will ein Querschnitt unterschiedlicher Perspektiven zu einem bestimmten Thema präsentiert wird und nun finde ich nicht mal mehr das. Die gestrige Ausgabe fand ich besonders schlecht. Unterschiede in den Positionen zum gewählten Thema (Bedrohungslage) wurden überhaupt nicht erkennbar. (Dafür lernte ich, dass Gerhart Baum nicht gegen die Vorratsdatenspeicherung an sich ist, sondern diese wohl in einer „Light-Version“ auch befürworten würde.)
Die gesamte Runde hatte, mit kaum erkennbaren Abstufungen, dieselbe Meinung. Denn Anne Will hatte keinen Menschen eingeladen, der dem medialen und politischen Umgang mit dem Terror-Thema kritisch gegenübersteht. Anne Will selbst war nicht kritisch genug und wesentliche Punkte, die in anderen Medien für Fragezeichen sorgen, thematisierte sie überhaupt nicht oder nur im Nebensatz. Besonders drei wichtige Punkte fielen unter den Tisch:
>>> Zu dem Namibia-Paket gibt es eine Menge offener Fragen, von denen gar keine in der Sendung auftauchte. Insbesondere zwei Fragen finde ich aber besonders wichtig, zumal Thomas de Maizière persönlich zu Gast war:
– Warum halten offizielle Amtsträger an der Darstellung fest, das Paket habe auf dem Rollband für den Flug nach Deutschland gelegen, obwohl AirBerlin sagt, das Paket habe sich nur in derselben Abfertigungshalle befunden, war aber für gar keine Richtung (und dementsprechend auch nicht nach Deutschland) deklariert?
– Warum haben die US-Behörden, die ja früher gewusst haben sollen, dass es sich um eine Attrappe handelte, nicht umgehend die deutschen Behörden darüber informiert?
>>> Die ethnische oder religiöse Eingrenzung sogenannter „Gefährder“ wurde kurz erwähnt und nicht vertieft. Gar nicht gefragt wurde danach, welche Gefahren die aktuelle Stimmung für deutsche Musliminnen und Muslime birgt. Dieser Frage liegt natürlich die nach den Menschenrechten (an die nur Herr Baum hin und wieder mit dem Grundgesetz erinnerte) zugrunde. Vor wenigen Tagen wurde aus bisher ungeklärten Motiven ein Brandanschlag auf eine Berliner Moschee verübt, warum wurde das mit keinem Wort erwähnt? Welche Stimmung erzeugen Warnungen à la Körting vor „fremdsprachigen“ Menschen, Aufrufe zu mehr Wachsamkeit gegenüber „Verdächtigen“, Forderungen nach mehr Polizei in „islamisch geprägten Vierteln“? Kurz: Was tut der Staat gegen den Rassismus, der im Fahrwasser der Terrorangst Blüten trägt und dessen Folgen?
>>> Niemanden in der Runde interessierte der Zufall, dass die aktuelle Terrorwarnung zeitlich genau auf die Termine der deutschen Innenministerkonferenz und des Nato-Gipfels fiel. Die CDU befindet sich gerade in einem sehr tiefen Tief, kritische Stimmen gegenüber der Regierung und ihrer Methoden in den letzten Wochen vor der Terrorwarnung vermehrten sich und die Öffentlichkeit wurde zunehmend sensibler für unverhältnismäßige Brutalität und Straftaten von Sicherheitsbehörden und Polizei. Die öffentliche Kritik am Regierungsgebaren ist mit der aktuell ausgerufenen Bedrohungslage praktisch aus den Medien verdrängt worden. In der Runde hinterfragte niemand die von Politikern postulierte Logik „Wer unsere Rufe nach mehr Überwachung nicht befürwortet, hat nichts verstanden“, die bereits von Kommentatoren im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übernommen wurde. Diese Zusammenhänge zwischen Angst und Kontrolle wurden nicht angesprochen.
Ich halte die Thematisierung mindestens dieser drei Punkte als unverzichtbar für ein journalistisches Interesse am Thema Terrorangst. „Wie bedroht sind wir?“ fragte Anne Will – und präsentierte mit ihren Gästen eine sehr einseitige Perspektive, die sie selbst nicht hinterfragte.
Hier ein älterer kurzer Beitrag aus der WDR-Sendung „Quarks & Co“, der versucht, das Risiko eines Terroranschlags in einen statistischen Zusammenhang zu bringen:
http://www.youtube.com/watch?v=BjQj05Mr8oU
Eine aktuelle ausführliche Analyse der Rolle deutscher Medien in der aktuellen „Gefahrenlage“ gibt es von Marcus Klöckner bei Telepolis: Terror und deutsche Medien