Ringvorlesung Rassismusforschung TU Berlin 5 — Natasha A. Kelly: „Rassismus, Macht und Sprache“

Teil 5 aus der Reihe Ringvorlesung Rassismusforschung

Nachdem Lann Hornscheidt den Vortrag bei der Ringvorlesung Rassismusforschung der TU Berlin absagte, hat spontan Natasha A. Kelly zugesagt und zum angekündigten (unveränderten) Thema am letzten Montag, 23.11.2015, vorgetragen: Rassismus — Macht — Sprache.

Offenbar pegelt sich die Zahl der Interessierten und Studierenden ein, kaum mehr Menschen sitzen auf dem Boden, die Sitzreihen sind alle voll besetzt, der Raum in der Bibliothek der TU Berlin ist gefüllt. Nachfolgend gibt es wieder eine kurze Zusammenfassung des Referats.

Natasha A. Kelly leitet ihren Vortrag mit einem auf Video präsentierten Spoken-Words-Beitrag einer Schwarzen Künstlerin ein, die sich u.a. der Wirkmacht weißer Kolonialsprache auf die Kolonisierten widmet. Die Wirkmacht von Sprache im Allgemeinen sowie die rassistischen Dimensionen im Besonderen geben die Richtung des Referats vor.

Nach ihrem Rassismusverständnis (Natasha A. Kelly sagt bewusst „Mein Rassismusverständnis“) ist Rassismus dasselbe wie White Supremacy. In Anlehnung an Frances Cress Welsing sieht Natasha A. Kelly in einem ursprünglichen Unterlegenheitsgefühl weißer Europäer_innen eine Ursache für die, sozusagen kompensatorische, Überlegenheitsideologie und ihrer (wissenschaftlichen) Biologisierung, Rassifizierung und Kolonialisierung Schwarzer Menschen. Der Vorstellung europäischer, zivilisierter, kutlureller Überlegenheit liege die Intention zugrunde, das Überleben weißer Menschen zu sichern. Die stärkste Waffe für diese Mission sei die Schriftsprache, die mit der Bibel und der Erzählung eines weißen Jesus und einer weißen Maria in die kolonisierten Gebiete gebracht wurde. Bis heute dominiere die Wahrnehmung von weißen Menschen als gelehrt etc. und von Schwarzen Menschen als naturnah etc. als Folge kolonialer Narrative.

Natasha A. Kelly nennt W. E. B. Du Bois als Beispiel dafür, wie bereits zum Ende des 19., Anfang des 20. Jh. die soziale Dimension von Rassismus problematisiert wurde: Nicht tatsächliche Rassen, sondern an die Rassifizierung von Menschen geknüpfte Zugänge zu Ressourcen bestimmten die soziale Realität rassifizierter Menschen. Eine solche Wahrnehmung von Rassen als soziale Realität — im Sinne eines racial turns — fordert Natasha A. Kelly auch für deutschsprachige Kontexte und plädiert (wie der Vortragende von letzter Woche) für eine Beibehaltung bei gleichzeitiger Resignifizierung des Begriffs Rasse.

Nach der definitorischen Annäherung beschreibt Natasha A. Kelly die vielschichtige Wirkmacht von Rassismus, die auf der sprachlichen, der visuellen und der kognitiven Ebene gleichzeitig zum tragen komme. Sie illustriert das am N-Wort, dem Inbegriff weißer Vorherrschaft: Der Begriff selbst betrifft die sprachliche Ebene. Gleichzeitig wird auf der visuellen Ebene ein sichtbares Merkmal, zum Beispiel in der Kategorie ‚Hautfarbe‘, hervorgerufen — durch den Begriff, also unmittelbar mit diesem verbunden. Auf der kognitiven Ebene werden Vorstellungen von ‚Kultur‘ oder vermeintlichen Eigenschaften im weiteren Sinne aktiviert, die mit dem Begriff und der visuellen Vorstellung verbunden sind — also jene erlernten (stereotypen) Konzepte vergegenwärtigt, die unter den entsprechenden begrifflichen und visuellen Markern abgespeichert sind. Rassismus wirkt gleichzeitig auf den drei Ebenen.

Natasha A. Kelly erinnert daran, dass die Vermeidung des N-Wortes eine Errungenschaft Schwarzer Communities ist, und dass sämtliche Rechtfertigungsversuche („Kunst“, „Meinungsfreiheit“, „Satire“) den rassistischen Wirkkomplex des Begriffs kein bisschen reduzieren. (Jüngeres Beispiel, wie weiße Akteur_innen versuchen mit der Verwendung des rassistischen N-Worts originell zu sein hier). Mit Verweis auf Frantz Fanon beschreibt sie die Unmöglichkeit, die historischen Verhältnisse bei der Verwendung rassistischer Sprache auszublenden: Die Erfahrungen der kolonisierten Subjekte blieben in traumatisierender Weise als historischer Schmerz für die Nachfahren präsent — weiße Akteur_innen hingegen könnten sich nicht aus ihrer Relation zu den Kolonisierten lösen, sie tragen als Nachfahren der Kolonisierenden eine historische Schuld, die auch bei der Verwendung rassistischer Sprache nicht ausgeblendet werden könne. Das historische Verhältnis zwischen kolonisiertem und kolonisierendem Subjekt wird bei der Verwendung rassistischer Sprache stets aktiviert, dazu bedarf es keiner spezifischen Intention.

In einer genaueren Betrachtung des Verhältnisses zwischen Rassismus und Sprache — mit Sprachhandlungen werden Wirklichkeiten gewortet, Identitäten konstruiert — erläutert Natasha A. Kelly Möglichkeiten, wie Rassismus sich auch im Unterlassen von Sprachhandlung äußern kann: Im deutschen Feminismus beispielsweise sei die Ausblendung von Rassismus durch Nicht-Thematisierung verbreitet, wodurch Realitäten von Schwarzen Frauen, Frauen of Colour gar nicht in Betracht gezogen würden. Feminismus, bei dem ‚race‘ kein Thema ist, sei white feminism. Neben solcher Praxis der ‚Entnennung‘, in der Weißsein durch Nicht-Nennung als Norm reproduziert und Abweichng davon unsichtbar gemacht wird (theoretisch basierend auf bell hooks, begrifflich eingegrenzt von Lann Hornscheidt), existiert die Praxis der ‚Enterwähnung‘, in der Selbstbezeichnungen der von Rassismus Betroffenen ignoriert, also die Betroffenen mit ihrer selbstgewählten Bezeichnung nicht erwähnt werden (Zurückgehend auf Alanna Lockward). Um über etwas zu sprechen, müsse dies benannt werden. Durch ‚Entnennung‘ und ‚Enterwähnung‘ werde die Thematisierung nicht-weißer Perspektiven verhindert.

Über die Unsichtbarmachung nicht-weißer Perspektiven gelangt Natasha A. Kelly zur Critical Whiteness. Diese Theorie werde fälschlicherweise oft der weißen Wissenschaft zugeordnet, obwohl es sich dabei um ein von Schwarzen Menschen für Schwarze Menschen entwickeltes Modell handelt, dessen Ausgangspunkt die Perspektive des Schwarzen Objekts sei. Die Entwicklung und Betonung eigener Perspektiven aus der Sicht Betroffener auf die rassistischen Machtverhältnisse und die kritische Auseinandersetzung mit der weißen Machtposition gehe bereits auf widerständige Gesangs_Sprach_Handlungs_praxen während der Sklaverei zurück. Diese Perspektiven würden allerdings in der weißen Geschichtsschreibung nicht wahrgenommen — sondern erst jetzt, als die kritische Betrachtung der weißen Perspektive via Critical Whiteness von weißen Menschen übernommen wird, als vermeintlich weiße Theorie beachtet. Das sei ein Missverständnis und beruhe auf der fehlenden Anerkennung Schwarzer Wissens- und Theoriegeschichte, die zur Critical Whiteness von Toni Morrison nachhaltig beeinflusst wurde, wobei von genanntem W. E. B. Du Bois bereits vor über 100 Jahren Grundlagen zur Critical Whiteness zusammengetragen wurden. Du Bois, der sich als Black Marxist einordnete und die Theorien von Marx um den Aspekt ‚race‘ erweiterte, beschrieb die sozialen Auswirkungen von Rassismus auf die rassifizierten ‚black subjects‘, denen der Aufstieg auf das Level von ‚white subjects‘ durch eine trennende ‚colour line‘ verwehrt bliebe. Trotz formaler Übereinstimmungen von sozialen Eigenschaften mit weißen Subjekten würde die ‚colour line‘ dafür sorgen, das rassifizierte Subjekte nie in der sozialen Ebene von ‚white subjects‘ angelangen. Die ‚colour line‘ versperrt Zugänge zu Macht und Ressourcen, die weißen Subjekten vorbehalten sind.

Natasha A. Kellys Empfehlungen zum Weiterlesen:

  • Du Bois, W. E. B.: The Souls of Black Folk (Die Seelen der Schwarzen)
  • Fanon, Frantz: The Wretched Of The Earth (Die verdammten dieser Erde), Black Skin, White Masks (Schwarze Haut, Weiße Masken)
  • hooks, bell: alles
  • Morrison, Toni: Playing In The Dark – Whiteness and the Literary Imagination (Im Dunkeln spielen: Weiße Kultur und literarische Imagination)
  • Welsing, Frances Cress: The Isis Papers: The Keys to the Colors

  • Natasha A. Kelly weist außerdem auf die von ihr mit initiierte Ausstellung EDEWA hin, die noch bis 12.12. in der Weserstr. 179 in Berlin zu sehen ist.

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    Für Montag den 30.11.2015 ist Astrid Messerschmidt angekündigt mit dem Vortragstitel „Rassismuskritische Bildung als machtreflexiver pädagogischer Ansatz“ (facebook-Ankündigung, und hierlang zum Blog-Beitrag).