Ringvorlesung Rassismusforschung TU Berlin 2 — Urmila Goel: „Verflochtene Machtverhältnisse“

Teil 2 aus der Reihe Ringvorlesung Rassismusforschung

Am Montag den 26.10.2015 sprach Urmila Goel im Rahmen der Ringvorlesung zur Rassismusforschung in Deutschland. Der Referatstitel lautete „Verflochtene Machtverhältnisse — Forschungsperspektive Intersektionalität“.

Die Veranstaltung war wieder sehr gut besucht, diesmal hatte ich etwas mehr Beinfreiheit an meinem Platz am Boden und habe neben schriftlichen Aufzeichnungen auch Notizen bei Twitter hinterlassen. Nachfolgend gibt es wieder eine kurze Zusammenfassung des Vortrags.

Urmila Goel beginnt sehr grundlegend, erklärt den zentralen Begriff Intersektionalität: Isolierte Betrachtungen einzelner Kategorisiergungen (wie ethnicity/race, gender, ability, class …) stellten sich als unzureichend für die Analyse von Machtverhältnissen heraus. Diese Erkenntnis führte zum Ansatz der Intersektionalität (Kimberlé Crenshaw, Floya Anthias), der Verflechtungen und Überschneidungen bei der Wirkung der Kategorien in die Analyse einbezieht. Im deutschsprachigen Kontext sieht Urmila Goel Schwarze deutsche Frauen mit ihrer Bewegung als die Ersten, die in den 80er Jahren intersektional sensibilisiert arbeiteten.

Urmila Goel betont, dass es gelte, die Spezifik der einzelnen machtvollen Kategorisierungen zu beachten, auch, wenn sie verflochten wirken. So etwa sind Schwarze Frauen als Schwarze Menschen durch rassistische Machtverhältnisse und als Frauen durch sexistische Machtverhältnisse gleichsam diskriminiert. Der intersektionale Ansatz versucht — unter Beachtung der jeweiligen Spezifik — keines der wirkenden Machtverhältnisse auszublenden, ihre Verflechtung wahrzunehmen, und der daraus entstehenden Wirkmacht gerecht zu werden.

Die Kategorien bzw. Kategorisierungen dienen zwar der Analyse, allerdings seien die für diese Kategorisierungen verantwortlichen Machtverhältnisse das zentral zu untersuchende Problem: Die Machtverhältnisse, die sich etwa in Zugängen zu Rechten und Ressourcen ausdrücken, bedingen die Definitionen dessen, was als normal und zugehörig gilt, gesellschaftlich anerkannt ist, und was nicht. Die Komponente Macht ermöglicht überhaupt erst das Wirksamwerden der Kategorien, die unhinterfragt in der Akzeptanz herrschender Normen internalisiert werden. (hier nennt Urmila Goel auch Birgit Rommelspachers Verständnis von Dominanzkultur, in dem sie einen intersektionalen Ansatz erkennt, ohne dass Rommelspacher den Begriff Intersektionalität explizit verwendete). Zugang zu Ressourcen und Recht bedeutet demnach die Möglichkeit machtvoller Einflussnahme auf die herrschenden Normen, sowie auf die machtvoll ordnenden Kategorisierungen (siehe hierzu auch die Leseempfehlung ganz unten).

Die Hierarchisierung verschiedener Diskriminierungsmechanismen lehnt Urmila Goel ab. Auf die Frage aus dem Publikum, wie sie denn die von Kristina Schröder einst angeführte Äußerung zum „Rassismus gegen Deutsche“ einordnen würde, antwortet Goel, hier könne vielleicht von kontextbezogener Diskriminierung die Rede sein (Kontext Schulhof oder Klassenzimmer), allerdings nicht von einer machtvollen Diskriminierung im Sinne von Rassismus, für den eben der Zugang zu gesellschaftlichen Machtinstrumenten wie Lehrplan, Noten, Schulsystem, Gesetzen etc. notwendig sei. Genau solche Instrumente zur gesellschaftlichen Einflussnahme gelte es bei der Betrachtung verflochtener Machtverhältnisse zu untersuchen, und diese Einflussmöglichkeiten liegen beim sogenannten „Rassismus gegen Deutsche“ nicht vor. (Eigene Anmerkung: Der sich dann folglich auch nicht als Rassismus einordnen lässt.) Urmila Goel sagt aber auch, dass „verflochtene Rassismen“ je nach Kontext, Zeit und Ort unterschiedlich wirken können, je nachdem, nach welchen Kategorien in dem jeweiligen Kontext „Andere“ konstruiert werden. So könnten Menschen, die in einem gesellschaftlichen Kontext bspw. von antislawischem oder antijüdischem Rassismus betroffen sind, in einem anderen Kontext selbst rassistisch gegenüber Schwarzen Menschen sein. Urmila Goel sieht hier unterschiedliche Positionierungen innerhalb unterschiedlicher Rassismen gegeben.

Urmila Goel trägt abschließend zusammen: Intersektionalität ermögliche

  • die Analyse von Ausblendungen (sonst nicht beachteter sozialer Verortungen, die Machtverhältnisse verstärken),
  • die Analyse von Ambilvalenzen (z.B. wenn Marginalisierungen und Privilegierungen zusammenkommen oder wenn es zum Kampf unter Marginalisierten kommt, wie etwa in antimuslimischen Feminismen).
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    Die Vortragsfolien von Urmila Goel wurden freundlicherweise von der TU Berlin an Interessierte weitergeschickt und können sicherlich bei der TU Berlin hier angefragt werden.

    Weiterführende Leseempfehlung: Eine verständliche Darstellung der praktischen Ausschlüsse und der Verwehrung von Rechten, die mittels Fehlanalysen oder analytischen Ausblendungen (wie dem Verzicht auf eine intersektionale Perspektive) erreicht werden, bietet dieser Text.

    Am kommenden Montag (02.11.2015, 16:00) spricht Noa Ha über „Dekoloniale Theorie und Perspektiven auf Stadt“ (wieder in der UB der TU, Fasanenstr.88, facebook-Ankündigung, Beitrag hier im Blog).